Folge 64: Der letzte Wunsch

Hier wird über die aktuelle Folge diskutiert. Und über alle anderen natürlich auch.
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falko
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Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von falko »

Der letzte Wunsch unserer Hörer*innen war der Herr Sapkowski nicht, aber einer, den wir immer wieder gehört haben, und dem sind wir nun gefolgt. “Witcher” Geralt ist durch die erfolgreiche Computerspielereihe und die kürzliche Netflix-Serie einem Publikum bekannt geworden, das nicht primär die Nase in Papier oder E-Ink stupst. Dabei ist die Buchreihe des polnischen Autors gar nicht so neu, erlebt durch den Hype aber eine Neuauflage nach der anderen.

Wer sich mit der Welt des Hexers befassen und ganz vorn einsteigen möchte, sollte zu dem ersten Sammelband mit Kurzgeschichten greifen, und genau das haben wir getan. Unser Fazit? Um den Netflix-Geralt zu zitieren: “Hmmm.“

Folge 64: Der letzte Wunsch
"I must say I find television very educational. The minute somebody turns it on, I go to the library and read a good book." - Groucho Marx
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derFuchsi
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Re: Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von derFuchsi »

Noch nicht gehört (bin 3 Folgen hintendran, verdammte Podcastschwemme überall zum Jahreswechsel, aber werde das hier definitiv vorziehen) aber ich muss vorab schonmal meinen Senf abgeben :D.
Bin froh endlich von Jochen zu hören was er am Witcher auszusetzen hat. Dass er die Bücher nicht sonderlich schätzt hab ich nämlich mitbekommen.
Ich hab mir die Reihe damals extra vor Witcher 3 reingezogen und zwar in dieser Reihenfolge.
Stellenweise hat es sich etwas gezogen aber insgesamt fand ich es unterhaltsam genug um dranzubleiben bis zum Schluss.
Shenmi
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Re: Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von Shenmi »

Ich habe alle Hexer Bücher gelesen, auf die ich durch Witcher 3 aufmerksam wurde.
Ein ganz tolles Spiel, welches meine Frau und ich, aber leider wohl nie beenden werden. Wir sind nicht so richtig begabt, mit dem Controller und geraten bei den Kämpfen immer wieder in Probleme. Zudem ist das Spiel ist ja auch richtig lang und so viel Ausdauer haben wir nicht.
Die Bücher wurden uns im Rahmen des Spieles angepriesen, doch wir beide vernmochten die Begeisterung nicht so recht zu teilen.

Dabei ist Geralt eine ganz wunderbare Figur und auch die Idee des Hexer Handwerkes eine ganz tolle. Vor allem seine Ambivalenz und die Bindung zu Yennefer habe ich sehr gemocht. Leider war es das dann aber auch schon, denn von der gesamten Reihe ist mir lediglich eine einzige Szene in Erinnerung geblieben:
In einem Gasthaus trifft Gerald auf einen anderen - abtrünnigen - Hexer, von der Katzenschule. Karlo, der Kater von...tralala... Ich kann mich nicht mehr so richtig erinnern. Das war eine urige und irgendwie auch epische Szene, mit der Substanz die bei den großen Ereignissen oftmals fehlte.
Ansonsten mäandert die gesamte Erzählung sehr träge um Geralt herum, ohne das ich je einen Bezug zur Welt gefunden hätte. Auch diese ganzen Fürstenhäuser und Intrigen, wirkten so halbgar auf mich, und was noch schlimmer ist, zugleich unfassbar provinziell.
Ich möchte die Fans der Hexer Reihe nicht vor den Kopf stoßen, aber mehr als dem unteren Ende zugeneigtes Mittelmaß ist das alles nicht.
Erstaunlich, dass Sapkowski zu solcher Bekanntheit gelangen konnte, während Joe Abercrombie - der um Längen besser ist, vor allem bei den Charakteren - kaum Beachtung findet.
Auch eine Robin Hobb gefällt mir besser und das trotz ihrer nervigen "my heros are allways save" Anwandlung.
Dafür ist ihr World Building ziemlich stark und hält mich bei der Stange.

P.S. Die von Jochen angesprochene Ziellosigkeit der Geschichte, zieht sich durch die gesamte Reihe. Später existiert zwar ein roter Faden, aber den verliert man als Leser*In genauso schnell aus den Augen, wie der Autor offenbar auch.
Sapkowski macht halt von allem ein bisschen, aber nichts wirklich gut. Die Hexe Reihe wirkte auf mich wie eine sehr gutes Konzept, dass nie zu Ende gefacht wurde. Teilweise mutete es an als hätte der Autor selbst kein großes Interesse, an seiner Welt.
Ich bin eitel, hochmütig, tyrannisch, blasphemisch, stolz, undankbar, herablassend-bewahre aber das Aussehen einer Rose" - Pita Amor
Flo
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Re: Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von Flo »

Shenmi hat geschrieben: Do 11. Feb 2021, 12:35 ...

Die Bücher wurden uns im Rahmen des Spieles angepriesen, doch wir beide vernmochten die Begeisterung nicht so recht zu teilen.

Dabei ist Geralt eine ganz wunderbare Figur und auch die Idee des Hexer Handwerkes eine ganz tolle.

...

Ansonsten mäandert die gesamte Erzählung sehr träge um Geralt herum, ohne das ich je einen Bezug zur Welt gefunden hätte.

Genau so ging es mir auch.

Die Grundidee der Hexer ist erst mal ziemlich cool, vor allem der Aspekt, nicht einfach nur klassisch "Kämpfer für das Gute" zu sein.
Aber die wirkliche Immersion in die Welt hat gefehlt. Im Vergleich zur meisten Fantasy sind die einzelnen Bücher ja auch ziemlich kurz. Und vielleicht ist genau das dann die Schwäche: Es fehlt die übliche Tiefe der Welt, um darin einzusteigen und zu versinken. Mir ging vieles zu schnell. Lauter Figuren, Orte und Konflikte, die ich nicht kenne und nie so wirklich kennenlerne. Wer steht jetzt hier in Beziehung zu wem und warum?
Das langsame Erzählen, das die von dir genannte Robin Hobb so gut macht, fehlt mir persönlich hier ein wenig.
Im Spiel (ich habe nur Teil 3 gespielt) funktioniert das dagegen ganz wunderbar, weil dort ja auch noch das ganze Visuelle da ist, das die Welt mit aufbaut. Dort scheint mir auch der Handlungsfaden "klassischer" gestaltet und führt den Spieler besser heran. Hier verstehe ich das wer und warum viel besser. Insgesamt viel mehr Immersion.

Ich habe nur den ersten Roman gelesen, bzw als Hörbuch gehört, aber den zweiten wollte ich danach gar nicht erst versuchen. Oben drauf war der Sprecher des Hörbuchs nicht wirklich gut und die Lautstärke war schlecht abgemischt.
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Peter
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Re: Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von Peter »

Ich habe zwar alle Spiele durchgespielt, alle Bücher gelesen und die Serie gesehen, aber ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass der Witcher ein Highlight im Fantasy-Bereich wäre. Von den Büchern würde ich eigentlich nur die Kurzgeschichten-Bände empfehlen. Die Romane bieten mehr vom gleichen, sind keineswegs besser geschrieben und waren für mich gegen Ende hin fast schon zäh zu lesen. Auch das Worldbuilding finde ich ehrlich gesagt ziemlich schwach. Selbst nachdem ich mich hunderte von Stunden mit dem Witcher-Kosmos beschäftigt habe, fällt es mir schwer da mehr darüber zu sagen, als "Nilfgard ist böse". Bereits die anderen Reiche könnte und konnte ich gar nicht mehr auseinanderhalten.
Aratirion
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Re: Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von Aratirion »

Ich finde, ihr habt das Buch sehr gut diskutiert und die wirklich relevanten Aspekte hervorgekehrt.

Wenn man die Witcher-Bücher lesen will, muss einem ja zunächst klar sein, dass man sich in gewisser Hinsicht von den Spielen verabschieden muss. Die haben zwar - insbesondere in den Nebenquests - die Vorlage ganz gut getroffen, auch den "slawischen Vibe" haben sie gut mitgenommen. Die Stärke der Spiele ist aber nicht die Werktreue. Die Stärke der Spiele war es, auf Basis von Sapkowskis Welt eine glaubhafte, greifbare Dark Fantasy Welt zu erschaffen, die teils literarischen Tiefgang hat, vor allem aber eine ungewöhnliche Mischung aus bekanntem und neuem, unverbrauchtem bietet (der slawische Touch). Sie ist aber deutlich Action-lastiger und hat insgesamt einen anderen Ton als die Bücher.

Sapkowski ist, vor allem in den Kurzgeschichten, durch drei Elemente gekennzeichnet: Ironie/Humor in locker, flockiger bis melancholisch, zynischer Spielart (durchaus auch mal bewusst plump, aber immer greifbar und bodenständig); Märchen neu und v.a. dramatisch erzählt ("Was wäre wenn wir bekannte Märchen für Erwachsene wie ein dunkles, satirisches Theaterstück erzählen würden?"); Anachronismus (die Welt ist unsere Welt, gespiegelt durch das Prisma aus Versatzstücken klassischer Fantasy - die dann auch sehr klassisch und klischeehaft sein darf und vielleicht sogar muss; ihr nennt das "Fanfiction", ist aber vielleicht durchaus so gewollt - realweltlicher Historie und modernen Themen, darunter Moral, die allesbestimmende Rolle der Ökonomie in der Welt (der Handelsreisende eben), und die Dynamik und Spannung von Geschlechterverhältnissen, in ihrem Zusammenspiel altertümlicher, klischeehafter Vorstellungen, die immer wieder durchbrochen werden von unerwartet modernen Elementen). Diese Bücher und diese Welt ist weit weniger "Worldbuilding" nach moderner Fantasy oder DnD-Tradition. Sie sind viel älter als 30 Jahre und gleichzeitig moderner. Und sie sind viel bewusster Analogien als vieles andere in der Fantasy (Tolkien würde sich im Grabe umdrehen).

Würde ich Sapkowski in einen Ratschlag ummünzen wollen, dann würde der in etwa lauten: "Nehmt mich ernst, aber nehmt mich eigentlich überhaupt nicht ernst". Daraus ergibt sich dann auch diese Bandbreite von Passagen, die wie Fanfiction klingen (hier zitiert Sapkowski bewusst klassische Fantasy-Klischees und betrachtet das Ganze fast wie ein Spiel von "likeminded nerds", die sich halt gern austoben wollen) und anderen, die eine gehörige Portion Witz, eine Doppelbödigkeit und einen literarischen Tiefgang aufweisen, die es so in der Fantasy oft nicht gibt - in der Behandlung bestimmter Themen der Moral; der Politik; und des metaphysischen Gehalts von Märchen, Mythos und dem Übernatürlichen (Sapkowski hat nicht umsonst auch ein non-fiction Werk zur Artus-Mythologie rausgebracht). Genau das macht Sapkowski für mich so ansprechend. Er überrascht mich mal mit seiner Tiefe, mal mit seiner plump-grotesken, billigen Oberflächlichkeit, über die man aber nur herzhaft wie ein pubertierender Junge lachen kann (und muss). Dieses Zusammenspiel führt aber für mich dazu, dass ich nicht das Gefühl habe, hochnäsige, präpotente Belletristik oder "Hochkultur" vor mir zu haben, die das bewusst und gezwungen versucht nach außen zu kehren; aber auch nicht Fanfiction auf 12-jährigem Niveau ohne reflexiver Komponente oder literarischer Kunstgriffe, sondern einen grundehrlichen Spaß, der sich weder davor scheut, die elementaren Fragen des Lebens anzugehen, noch wie ein Pubertierender über Peniswitze zu kichern. Das Ding ist einfach menschlich. Auch Menschen sind mal blöd, plump und oberflächlich; dann aber wieder voller Emotionen oder Tiefgang. So wie ihr Sapkowski als Person geschildert habt, so muss man auch die Bücher schildern. Man muss sie lesen, wie man einen Stammtisch mit Freunden begeht, in dem gesoffen und gelacht, aber auch über Gott und die Welt philosophiert wird. In dem man sich mit Tränen in den Augen in die Arme fällt, weil man einen ganz tief gehenden, ehrlichen Nerv getroffen hat, sich aber gleichzeitig mit Bierschaum anspuckt (und der Kellnerin in den Hintern gekniffen hätte, hätten wir 1960).

Das allergrößte Problem - und das wäre auch mein ganz persönlicher Kritikpunkt - an Sapkowski ist für mich das Storytelling. In den Kurzgeschichten kommt das noch nicht zum Tragen, sobald man sie mal als 70 Seiten Theaterstück akzeptiert, in dem sich die Geschichten durch den Dialog erschließen und einen über das wortwörtliche Erzählen in seinen Bann ziehen (also die bewusste Umformung von "Show don't tell"; bei Sapkowski ist es umgekehrt, aber gut so). Die Romane verlieren dadurch aber gehörig an Zugkraft und Spannung. Sapkowski kann Kurzgeschichten. In den Romanen sieht man, was passiert, wenn man Kurzgeschichten aufteilt und aneinanderreiht, ohne ordentliche Spannungsbögen drüberzupacken oder packend oder spannend erzählen zu können. Es ist nett, dass wir in den Romanen viele neue Charaktere und Schauplätze, viele große Themen kennenlernen, aber all das ist relativ belanglos aneinandergereiht... und dann kommt der Klimax ... und dann ist's aus. Die Romangeschichte hätte nach einem Buch genauso gut oder schlecht wie nach 10 Büchern abgeschlossen werden können. Er hat sich halt für 5 entschieden.

Kleinere Kritikpunkte wären seine ambivalente Herangehensweise an Frauencharaktere (die teils unglaublich gut und vielschichtig gezeichnet werden, teils aber auch seeeehr anstrengend sind; Frauen sind - egal wie spannend und dreidimensional sie sonst geschildert werden - bei Sapkowski immer auch zickige Göhren und Prinzessinnen); seine Inkonsequenz in der Magie; und das Problem, das wir auch bei Tolkien schon haben: das Ungleichgewicht im Worldbuilding: zu viel davon schadet dem Witz und der Ironie und der Grundintention; gleichzeitig wird sie irgendwann unweigerlich nötig, je mehr man erzählen möchte. Genau an dem Punkt setzen aber die Spiele an und machen einiges besser, gerade weil sie anders sind. Die Spiele sind mehr klassische Fantasy in neuem, innovativem Gewand. In diesem Gewand funktioniert ein klassisches Worldbuilding aber wieder. Dafür gibt es Abstriche in der literarischen Vielschichtigkeit.

Ich persönlich finde es schön, was CDPR aus der Vorlage gemacht hat. Aber es ist ein anderes Gericht, das mir hier präsentiert wird. Die Gewürz-Mischung ist die selbe, das Aroma auch - und das ist schön heimelig - aber schmecken tut das Ding anders. Die Spiele sind ein Cheeseburger vom hochwertigen Hipsterkoch. Die Bücher sind ehrliche Hausmannskost, die aber durch die altehrwürdige, wohl ausgesuchte Mischung aus Gewürzen einen Charakter bekommt, den der beste Sternekoch nicht hätte zaubern können. Und letztlich sogar intensiver schmeckt als der Big Mac mit Geschmacksverstärkern.
Insanity
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Re: Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von Insanity »

Aratirion hat geschrieben: So 14. Feb 2021, 16:41 Ich finde, ihr habt das Buch sehr gut diskutiert und die wirklich relevanten Aspekte hervorgekehrt.

Wenn man die Witcher-Bücher lesen will, muss einem ja zunächst klar sein, dass man sich in gewisser Hinsicht von den Spielen verabschieden muss. Die haben zwar - insbesondere in den Nebenquests - die Vorlage ganz gut getroffen, auch den "slawischen Vibe" haben sie gut mitgenommen. Die Stärke der Spiele ist aber nicht die Werktreue. Die Stärke der Spiele war es, auf Basis von Sapkowskis Welt eine glaubhafte, greifbare Dark Fantasy Welt zu erschaffen, die teils literarischen Tiefgang hat, vor allem aber eine ungewöhnliche Mischung aus bekanntem und neuem, unverbrauchtem bietet (der slawische Touch). Sie ist aber deutlich Action-lastiger und hat insgesamt einen anderen Ton als die Bücher.

Sapkowski ist, vor allem in den Kurzgeschichten, durch drei Elemente gekennzeichnet: Ironie/Humor in locker, flockiger bis melancholisch, zynischer Spielart (durchaus auch mal bewusst plump, aber immer greifbar und bodenständig); Märchen neu und v.a. dramatisch erzählt ("Was wäre wenn wir bekannte Märchen für Erwachsene wie ein dunkles, satirisches Theaterstück erzählen würden?"); Anachronismus (die Welt ist unsere Welt, gespiegelt durch das Prisma aus Versatzstücken klassischer Fantasy - die dann auch sehr klassisch und klischeehaft sein darf und vielleicht sogar muss; ihr nennt das "Fanfiction", ist aber vielleicht durchaus so gewollt - realweltlicher Historie und modernen Themen, darunter Moral, die allesbestimmende Rolle der Ökonomie in der Welt (der Handelsreisende eben), und die Dynamik und Spannung von Geschlechterverhältnissen, in ihrem Zusammenspiel altertümlicher, klischeehafter Vorstellungen, die immer wieder durchbrochen werden von unerwartet modernen Elementen). Diese Bücher und diese Welt ist weit weniger "Worldbuilding" nach moderner Fantasy oder DnD-Tradition. Sie sind viel älter als 30 Jahre und gleichzeitig moderner. Und sie sind viel bewusster Analogien als vieles andere in der Fantasy (Tolkien würde sich im Grabe umdrehen).

Würde ich Sapkowski in einen Ratschlag ummünzen wollen, dann würde der in etwa lauten: "Nehmt mich ernst, aber nehmt mich eigentlich überhaupt nicht ernst". Daraus ergibt sich dann auch diese Bandbreite von Passagen, die wie Fanfiction klingen (hier zitiert Sapkowski bewusst klassische Fantasy-Klischees und betrachtet das Ganze fast wie ein Spiel von "likeminded nerds", die sich halt gern austoben wollen) und anderen, die eine gehörige Portion Witz, eine Doppelbödigkeit und einen literarischen Tiefgang aufweisen, die es so in der Fantasy oft nicht gibt - in der Behandlung bestimmter Themen der Moral; der Politik; und des metaphysischen Gehalts von Märchen, Mythos und dem Übernatürlichen (Sapkowski hat nicht umsonst auch ein non-fiction Werk zur Artus-Mythologie rausgebracht). Genau das macht Sapkowski für mich so ansprechend. Er überrascht mich mal mit seiner Tiefe, mal mit seiner plump-grotesken, billigen Oberflächlichkeit, über die man aber nur herzhaft wie ein pubertierender Junge lachen kann (und muss). Dieses Zusammenspiel führt aber für mich dazu, dass ich nicht das Gefühl habe, hochnäsige, präpotente Belletristik oder "Hochkultur" vor mir zu haben, die das bewusst und gezwungen versucht nach außen zu kehren; aber auch nicht Fanfiction auf 12-jährigem Niveau ohne reflexiver Komponente oder literarischer Kunstgriffe, sondern einen grundehrlichen Spaß, der sich weder davor scheut, die elementaren Fragen des Lebens anzugehen, noch wie ein Pubertierender über Peniswitze zu kichern. Das Ding ist einfach menschlich. Auch Menschen sind mal blöd, plump und oberflächlich; dann aber wieder voller Emotionen oder Tiefgang. So wie ihr Sapkowski als Person geschildert habt, so muss man auch die Bücher schildern. Man muss sie lesen, wie man einen Stammtisch mit Freunden begeht, in dem gesoffen und gelacht, aber auch über Gott und die Welt philosophiert wird. In dem man sich mit Tränen in den Augen in die Arme fällt, weil man einen ganz tief gehenden, ehrlichen Nerv getroffen hat, sich aber gleichzeitig mit Bierschaum anspuckt (und der Kellnerin in den Hintern gekniffen hätte, hätten wir 1960).

Das allergrößte Problem - und das wäre auch mein ganz persönlicher Kritikpunkt - an Sapkowski ist für mich das Storytelling. In den Kurzgeschichten kommt das noch nicht zum Tragen, sobald man sie mal als 70 Seiten Theaterstück akzeptiert, in dem sich die Geschichten durch den Dialog erschließen und einen über das wortwörtliche Erzählen in seinen Bann ziehen (also die bewusste Umformung von "Show don't tell"; bei Sapkowski ist es umgekehrt, aber gut so). Die Romane verlieren dadurch aber gehörig an Zugkraft und Spannung. Sapkowski kann Kurzgeschichten. In den Romanen sieht man, was passiert, wenn man Kurzgeschichten aufteilt und aneinanderreiht, ohne ordentliche Spannungsbögen drüberzupacken oder packend oder spannend erzählen zu können. Es ist nett, dass wir in den Romanen viele neue Charaktere und Schauplätze, viele große Themen kennenlernen, aber all das ist relativ belanglos aneinandergereiht... und dann kommt der Klimax ... und dann ist's aus. Die Romangeschichte hätte nach einem Buch genauso gut oder schlecht wie nach 10 Büchern abgeschlossen werden können. Er hat sich halt für 5 entschieden.

Kleinere Kritikpunkte wären seine ambivalente Herangehensweise an Frauencharaktere (die teils unglaublich gut und vielschichtig gezeichnet werden, teils aber auch seeeehr anstrengend sind; Frauen sind - egal wie spannend und dreidimensional sie sonst geschildert werden - bei Sapkowski immer auch zickige Göhren und Prinzessinnen); seine Inkonsequenz in der Magie; und das Problem, das wir auch bei Tolkien schon haben: das Ungleichgewicht im Worldbuilding: zu viel davon schadet dem Witz und der Ironie und der Grundintention; gleichzeitig wird sie irgendwann unweigerlich nötig, je mehr man erzählen möchte. Genau an dem Punkt setzen aber die Spiele an und machen einiges besser, gerade weil sie anders sind. Die Spiele sind mehr klassische Fantasy in neuem, innovativem Gewand. In diesem Gewand funktioniert ein klassisches Worldbuilding aber wieder. Dafür gibt es Abstriche in der literarischen Vielschichtigkeit.

Ich persönlich finde es schön, was CDPR aus der Vorlage gemacht hat. Aber es ist ein anderes Gericht, das mir hier präsentiert wird. Die Gewürz-Mischung ist die selbe, das Aroma auch - und das ist schön heimelig - aber schmecken tut das Ding anders. Die Spiele sind ein Cheeseburger vom hochwertigen Hipsterkoch. Die Bücher sind ehrliche Hausmannskost, die aber durch die altehrwürdige, wohl ausgesuchte Mischung aus Gewürzen einen Charakter bekommt, den der beste Sternekoch nicht hätte zaubern können. Und letztlich sogar intensiver schmeckt als der Big Mac mit Geschmacksverstärkern.
Super Beitrag, vielen Dank! 👍
bluttrinker13
Beiträge: 35
Registriert: Do 27. Aug 2020, 15:08

Re: Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von bluttrinker13 »

Shenmi hat geschrieben: Do 11. Feb 2021, 12:35 Auch eine Robin Hobb gefällt mir besser und das trotz ihrer nervigen "my heros are allways save" Anwandlung.
Dafür ist ihr World Building ziemlich stark und hält mich bei der Stange.
Bitte was? Wie weit hast du denn Hobb gelesen? Das klingt als seien ihre Helden unantastbar, was einfach falsch ist, und eher zu Name des Windes etc. passen würde.

@Sapkowski: Ich kann die Kritik an ihm bis heute nicht nachvollziehen. Obwohl ich auch zugeben muss, ja, bei den Kurzgeschichten und abgeschlossenen Geschichten wie Zeiten des Sturms ist er imo am besten, bei den Meta-Stories wie in der großen Hauptreihe verliert er (auch aufgrund zu vieler Charaktere und POVs imo) dann zusehends den Faden. Aber ich liebe seinen Humor (bei der Drachenjägergeschichte habe ich gebrüllt vor Lachen, außerdem kann der Mann einfach ZWERGE :D), und seinen rotzigen, nahbaren Stil sehr. Habe alles von ihm verschlungen und freue mich auf mehr. Definitiv einer meiner Top-Fantasy Autoren, zusammen mit Hobb, Abercrombie und Martin. ;)
Haplo
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Registriert: Sa 8. Dez 2018, 10:03

Re: Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von Haplo »

Ich muss ja zugeben, dass mich die fünf Hauptbände irgendwann abgehängt haben, aber die Kurzgeschichten finde ich nach wie vor super.
Fast sogar noch besser fand ich (insb. den ersten Band) die Narrenturm-Trilogie. Da kommt der spezielle Humor von Sapkowski prima zur Geltung. Außerdem eine relativ unverbrauchte Szenerie und Geschichte.
Die dtv-Ausgabe ist leider ziemlich dahin geschludert ... So etwas finde ich - gerade bei den Preisen, die in Deutschland dafür aufgerufen werden - schade bis unverschämt.
Aratirion
Beiträge: 7
Registriert: Fr 6. Mär 2020, 09:47

Re: Folge 64: Der letzte Wunsch

Beitrag von Aratirion »

Insanity hat geschrieben: So 14. Feb 2021, 20:21 Super Beitrag, vielen Dank! 👍
Danke! :)

@Narrenturm-Trilogie: Inwiefern dahingeschludert? Ich hab mir alle 3 Bände letztens gebraucht gekauft und kann da ehrlich gesagt keinen Unterschied zu anderen Taschenbüchern erkennen. Beziehst du dich auf die Übersetzung?

Bin schon gespannt, wie mir die gefällt. Die kenn ich tatsächlich noch nicht. Kann mir aber auch vorstellen, dass Sapkowskis Stil und Humor perfekt in das Setting passen. Die Bücher sind aber dick, daher bin ich auch gespannt, wann ich mich dann mal heranwage... :D
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