Folge 77: Der Polizist

Hier wird über die aktuelle Folge diskutiert. Und über alle anderen natürlich auch.
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falko
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Folge 77: Der Polizist

Beitrag von falko »

In den Buchhandlung steht er reichlich, im Podcast ist er bislang noch nicht vorgekommen – der Bestsellerautor John Grisham. Mit seinem aktuellen Roman knüpft er direkt an seinen Erstling an, verortet die Geschichte in den Südstaaten der 1990er Jahren. “Der Polizist” ist das Opfer. Der Täter: ein Junge. Der Fall: vom ersten Kapitel an klar. Denn es geht nicht darum, wer etwas getan hat, sondern wie die juristischen Konsequenzen sind.

Das amerikanische Justizsystem hat seine Eigenheiten, und die werden in dem umfangreichen Roman herausgearbeitet. Grisham versteht es dabei, auf der Klaviatur der Gefühle zu spielen und seine Gerichtsverhandlung so ablaufen zu lassen, wie man es von Unterhaltungsliteratur erwartet: höchst dramatisch.

Viel Spaß mit der neuen Folge!

Folge 77: Der Polizist
"I must say I find television very educational. The minute somebody turns it on, I go to the library and read a good book." - Groucho Marx
Shenmi
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Re: Folge 77: Der Polizist

Beitrag von Shenmi »

Wie ich schon in dem anderen Thread geschrieben habe, fand ich den Roman gut und wieder sehr viel mehr vom "alten Grisham" -positiv wie negativ.
Er ist immer dann phantastisch, wenn es um das Rechtliche geht, Auftritte vor Gericht, Anwälte und Richter etc.
Die Peripherie des Ganzen kann er irgendwie nicht so richtig, keine Ahnung, ob es damals auch schon so war. Ich war noch eine sehr unerfahrene Leserin und müsste vielleicht Die Jury nochmal lesen, um das zu eruieren.
Woran ich mich aber die ganze Zeit erinnern konnte, waren die Personenbeschreibungen und eines seiner Lieblingstermini war "Button Down Hemd/Kragen" immer wenn er Beschreibungen brauchte.
Ich musste laut auflachen, als ich es hier wieder gefunden habe. Vor allem, weil es an der Stelle vollkommen aufgesetzt wirkt und die Info so belanglos ist, wie die anderen Beschreibungen.
Auf Seite 271 (EBook) heißt es:

"Ich bin Roswell und leite den Laden" sagte der andere und erhob sich. Er trug eine winzige rote Fliege und ein blütenweißes Hemd.
"Sehr erfreut" Sie schüttelten sich die Hände. Jake trug eine leichte Baumwollhose und ein Hemd mit Button Down Kragen, keine Krawatte, keine Socken.
- keine Socken! :lol:

Grisham wirkt an diesen Stellen ein wenig, wie aus der Zeit gefallen. Andere/Moderne AutorInnen lösen solche Sachen wesentlich eleganter oder lassen das einfach weg. Auf eine Art mag ich Grisham`s anachronistischen Stil, teilweise habe ich aber auch mit den Augen gedreht.

Fazit: Hätte Grisham etwas Peripherie weggelassen und sich mehr auf den Fall konzentriert - wo seine Stärken liegen - hätte ich noch mehr Spaß dran gehabt. Andererseits mag ich den langsamen Aufbau und die gerichtlichen/gesetzlichen Intrigen, mit denen er Spannung erzeugt. "Der Polizist" durchaus gelungen und gefällt mir immer noch besser als die ganzen Krimis da draußen, um die ich einen Bogen mache.

Und jetzt höre ich den Podcast, mal sehen was ihr dazu sagt.
Ich bin eitel, hochmütig, tyrannisch, blasphemisch, stolz, undankbar, herablassend-bewahre aber das Aussehen einer Rose" - Pita Amor
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Oliver Naujoks
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Re: Folge 77: Der Polizist

Beitrag von Oliver Naujoks »

Ich würde da leicht widersprechen wollen. Ich gehe davon aus, dass Grisham auch deswegen seit 30 Jahren so erfolgreich ist, weil er einfach IMHO ein phantastischer Erzähler ist. Natürlich hat er eine besondere Stärke in seinem Justiz-Bereich, aber auch bei allem drumherum ist er hervorragend lesbar, finde ich. Das merkt man insbesondere, wenn man mal seine Bücher zur Hand nimmt, die keine Justiz-Thriller sind. Er hat davon auch einige geschrieben, die in den Bereich der allgemeinen Belletristik (bessere Beschreibung fällt mir nicht ein) gehören, sowie Jugend- und auch zwei Sport-Romane. Alle sehr schön lesbar. Ich finde es lustig, dass sein Name so groß ist, dass sogar sein Baseball-Roman ins Deutsche übersetzt wurde, obwohl der tatsächlich selbst in der Kern-Handlung praktisch nicht verständlich ist, wenn man den Sport nicht ziemlich gut kennt.

Ihr habt das ja auch angesprochen, ich teile Eure Verwunderung, mich verwundert es sogar sehr, dass die Welle der Grisham-Verfilmungen völlig abebbte und nie wieder sich erholt hat. Der Mensch haut jedes Jahr 1-2 Bestseller raus, die man gut verfilmen könnte - es passiert dahingehend aber einfach nichts, obwohl die meisten der Verfilmungen vor gut 20-25 Jahren größtenteils sehr gelungen sind. Die kann man eigentlich alle sehr gut sehen, nur "Die Jury" hatte mir nicht so gefallen, das war ein fantastischer und extrem spannender Roman, der Film aber furchtbar grobschlächtig, was bei dem Regisseur nicht wundert, der nicht gerade für seine Subtilität bekannt war (ja, war, der Herr - namens Joel Schumacher - ist bereits verstorben).

Ich nehme immer mal wieder gerne eine Grisham zur Hand, muss aber gestehen, dass ich auch viele Romane ausgelassen habe. Um das jedes Jahr zu lesen, ist es mir dann doch zu gleichförmig. Aber in Abständen - immer wieder gerne.

Chapeau an Jochen, ich erlebe es nicht so häufig, dass Nicht-Juristen tatsächlich mal Mord und Totschlag korrekt auseinander halten können, das war eine Wohltat zu hören. ;)
Liest: "Dämmerung", Michael Kleeberg // "Blue Giant Supreme 1-11", Shinichi Ishizuka
Spielt: Robocop: Rogue City, Alan Wake, Ape Out (mal wieder, großartig!), Cyberpunk 2077: Phantom Liberty
Shenmi
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Re: Folge 77: Der Polizist

Beitrag von Shenmi »

Oliver Naujoks hat geschrieben: Di 10. Aug 2021, 15:47 Ich würde da leicht widersprechen wollen. Ich gehe davon aus, dass Grisham auch deswegen seit 30 Jahren so erfolgreich ist, weil er einfach IMHO ein phantastischer Erzähler ist. Natürlich hat er eine besondere Stärke in seinem Justiz-Bereich, aber auch bei allem drumherum ist er hervorragend lesbar, finde ich.
Ich würde sagen, er ist ein "guter Erzähler" mit Begabung zum fantastischen Erzählen, wenn es in den Bereich Recht/Gericht usw. geht.
Das er "lesbar" ist, würde ich unterschreiben, ich habe das Buch an zwei langen Abenden runter gelesen. Trotzdem wirkte es auf mich zeitweise - und sehr überspitzt gesagt - als würde ich zwei Romane lesen. Wenn es um den Fall geht, die Kungeleien mit dem Richter, selbst die Auftritte seines Mentors Lucien, herrscht ein völlig anderer "Sound".
Dann hat das Buch einen fabelhaften Rhythmus, der mich um vier Uhr nachts in den "eine Seite noch" Modus versetzt. Aber sowie es auf die Nebenhandlungen kommt, ist er einfach nicht gut, dann flacht das Tempo sofort ab.
Ich habe ja ein Beispiel gebracht, wo ich den Stil einfach nur ungelenk finde, die Informationen schlicht überflüssig. Es gibt aber noch andere Stellen. Aus dem Stand würde mir dieser seltsame Besuch bei den Schwiegereltern einfallen, wo Grisham einiges anteasert, das eigentlich Interessante, dass dem Protagonisten Tiefe verleihen würde, aber einfach weglässt.
Jake siezt doch seinen Schwiegervater oder nennt ihn beim Nachnamen, ich habe es leider schon wieder vergessen. Hier hätte ich zum Beispiel gerne erfahren, warum das so ist oder wie es nun tatsächlich um seine Finanzen steht bzw. warum das überhaupt wichtig ist. Dieser ganze Ausflug dorthin, dient überhaupt keinem Zweck und bringt den Plot keinen Jota voran. Genau wie die ganze Schwangerschafts,- bzw. Adoptionsgeschichte, die auch vollkommen ins Leere läuft, wo sie den Fall nicht berührt.
Grisham macht zwar Andeutungen, widmet dem immer mal wieder kleine Abschnitte und...tja...damit passiert genau nichts. "Phantastische Erzähler" würden so etwas entweder weglassen oder mir plausibel vermitteln, welchen Gewinn es mir als LeserIn bringt.

Auf mich wirkten die Nebenstränge jedenfalls häufig wie Pflichtübungen, vielleicht weil Grisham glaubt, dass müsse enthalten sein.
Abgesehen von dem zweiten Fall, mit dem Bahnübergang, bei dem ich durchaus verstehe, warum er drin sein muss, fand ich den Rest mindestens fünfzig Seiten zu lang - wahrscheinlich sogar hundert.
Das tut dem Gesamtwerk keinen Abbruch, lässt mich aber vermuten, dass Grisham sich die letzten Jahrzehnte nicht unbedingt weiterentwickelt hat.
Sein sprachlicher Stil ist eingängig, aber wirklich nichts Besonderes mehr. Aber Erzählen kann er und der Erfolg gibt ihm auch recht.
"Ich nehme immer mal wieder gerne eine Grisham zur Hand, muss aber gestehen, dass ich auch viele Romane ausgelassen habe."
Die neueren sind nicht so gut.
Ich hatte ihn jetzt länger nicht gelesen, weil ich ein oder zweimal daneben gegriffen habe. Zuletzt mit einem Roman, wo es um einen Mord in einem Casino, auf dem Territorium der Indianer ging. Das hat mich eigentlich interessiert, weil ich wusste das die american natives dort ihre eigenen Strafverfolgungsbehörden (Sheriff etc.) haben. Leider gab es dort auch jede Menge loser Fäden und am Ende habe ich das Buch sogar abgebrochen.
"Der Polizist" habe ich eigentlich nur gekauft, weil es hieß, es sei wieder mehr vom alten Grisham.
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Oliver Naujoks
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Re: Folge 77: Der Polizist

Beitrag von Oliver Naujoks »

Shenmi hat geschrieben: Di 10. Aug 2021, 19:15 Abgesehen von dem zweiten Fall, mit dem Bahnübergang, bei dem ich durchaus verstehe, warum er drin sein muss, fand ich den Rest mindestens fünfzig Seiten zu lang - wahrscheinlich sogar hundert.
Das tut dem Gesamtwerk keinen Abbruch, lässt mich aber vermuten, dass Grisham sich die letzten Jahrzehnte nicht unbedingt weiterentwickelt hat.
Sein sprachlicher Stil ist eingängig, aber wirklich nichts Besonderes mehr. Aber Erzählen kann er und der Erfolg gibt ihm auch recht.
Die meisten Grisham-Romane sind ja (im Original) so zwischen 350-400 Seiten lang und enthalten keine großen Abschweifungen. Die Jake Brigance-Romane sind immer etwas länger. Ob es daran liegt, dass Du da Längen wahr genommen hast?

Ja, sein Stil ist nicht groß erwähnenswert und eher unauffällig.
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tdiver
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Re: Folge 77: Der Polizist

Beitrag von tdiver »

Grisham habe ich in den frühen Jahren alles gelesen, was er geschrieben hat, bis ich die Nase vom "immer Gleichen" Schema voll hatte. Selbiges ist mir bei Ken Follett und z.B. David Baldacci passiert. Diese Schriftsteller kommen leider nicht aus ihrem Korsett raus.
Bei eurer Buchbesprechung bin ich nach ca. der Hälfte ausgestiegen, weil sich mir auch hier wieder obiges Problem bestätigt hat. Das Buch werde ich nicht lesen.
Von jedem der drei genannten Autoren haben mir die ersten 4-5 Bücher außerordentlich gefallen, nur ist meist der Aufbau identisch. So wie z.B. bei Follett, wo es zu Beginn sehr viele scheinbar unabhängige Handlungsstränge gibt, die immer im Buchfinale auf einen gemeinsamen Punkt laufen. Auf Dauer ist sowas halt langweilig.
Shenmi
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Re: Folge 77: Der Polizist

Beitrag von Shenmi »

Oliver Naujoks hat geschrieben: Mi 11. Aug 2021, 13:46
Die meisten Grisham-Romane sind ja (im Original) so zwischen 350-400 Seiten lang und enthalten keine großen Abschweifungen. Die Jake Brigance-Romane sind immer etwas länger. Ob es daran liegt, dass Du da Längen wahr genommen hast?
Es ging mir ja jetzt auch nur um dieses Buch und natürlich kann das jeder Leser/Leserin anders sehen.
Ich habe kürzlich an "Der Polizist" und die Personenbeschreibungen alle "...er trug keine Socken" denken müssen. Nämlich, als ich den Roman "Die Geschichte eines Lügners" von John Boyne gelesen habe. Der löst diese Problematik viel eleganter und baut die Beschreibung derart ein, dass ich sowohl ein Bild habe als auch mehr über diese Person wissen möchte.

Ich habe es mir extra markiert. Auf Seite 94 (EBook) heißt es:
"Er trug eine Leinenhose, ein am Hals aufgeknöpftes weißes Hemd und ein paar scharlachrote Slipper, die Gianni Versace eigens für ihn gefertigt und ihm bei seinem Besuch einige Monate zuvor mit großer Geste überreicht hatte. Die Schuhe strahlten etwas Päpstliches aus, was Gore gefiel, hegte er doch eine Leidenschaft, für Geschichte und Macht. Er hatte in seinem Leben bislang nur zwei Päpste getroffen, Montini und Wojtyla...." usw.
tdiver hat geschrieben: Sa 14. Aug 2021, 17:42 Grisham habe ich in den frühen Jahren alles gelesen, was er geschrieben hat, bis ich die Nase vom "immer Gleichen" Schema voll hatte.
Das sind halt diese Bestseller Autoren, die dauernd neue Bücher auf den Markt werfen und gut daran verdienen. Irgendwann fällt denen auch nichts Neues mehr ein. Dann wird es entweder immer absurder (Fitzek) oder Schema F. Darum lese ich auch keine Kriminal Romane mehr, außer sie kommen von Stephen King oder einem anderen Könner. Die sind aber auch auf ganz andere Sachen aus, als auf den reinen Fall.
Wobei ich Grisham eigentlich ziemlich gut finde, bei mir ziehen diese Gerichtsdramen/Intrigen. Wenn man diese Schemata einmal erkannt hat, sollte man das vielleicht zum Anlass nehmen, sich nach anderer Literatur umzuschauen. Ich habe, im Freundeskreis, aber genug Leute, die trotzdem immer dieselben Sachen lesen. Die meckern zwar herum, wollen im Grunde aber gar nichts anderes. Es reicht ihnen, sich ein wenig berieseln zu lassen.
Ich bin eitel, hochmütig, tyrannisch, blasphemisch, stolz, undankbar, herablassend-bewahre aber das Aussehen einer Rose" - Pita Amor
Dachs von Ghissi
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Re: Folge 77: Der Polizist

Beitrag von Dachs von Ghissi »

Danke an Jochen für den Filmtipp "Das Urteil". Sehr spannend und am Ende doch gut nachvollziehbare "plans within plans".
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