Was lest ihr gerade?

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Oliver Naujoks
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Oliver Naujoks »

falko hat geschrieben: Mo 27. Dez 2021, 17:47Ey, du brauchst nen Podcast. :D
Mal kurz ernsthaft: So wie viele Menschen kann ich meine eigene Stimme nicht leiden, wenn ich davon eine Aufnahme höre. Ein Podcaster (weiß nicht mehr, wer) oder Radiomensch meinte mal, dass man sich daran gewöhne. Schon daran würde das bei mir aber vermutlich scheitern.
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falko
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von falko »

Ernsthaft: ich habe für mich nie ein Audio-Medium erwogen. Hatte im Studium viele Leute im Dunstkreis, die unbedingt Radio machen wollten. Gar nix für mich. Ich musste echt über meinen Schatten springen, was in Richtung Podcast zu versuchen, und ich bin immer noch erstaunt, dass es offenbar okay funktioniert.
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J. Urban
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von J. Urban »

Zurück zum Thema "Was lest ihr gerade?"
Bei mir ist es "Offene See" von Benjamin Myers. Es geht um einen jungen Mann, der vor dem Start seines Berufslebens unter Tage im England der Nachkriegsjahre eine Wanderung durch das Land und an die Küste unternimmt. Dabei lernt er die Schönheit der Natur kennen und was es heißt, sein Leben zu genießen. Und, dass es mehr gibt, als bloße Pflichterfüllung. Das glaube ich zumindest - ich bin noch nicht sehr weit gekommen (S. 70). Das alles klingt ziemlich abgedroschen und wie eine moderne Version von Werther. Bislang liest sich das Buch jedoch sehr poetisch, stellenweise auch witzig, und es gefällt mir sehr gut. Insbesondere die Figuren und Landschaftsbeschreibungen sind sehr plastisch.

Wenn es etwas leichtere Kost sein soll, dann greife ich momentan gerne zu Science-Fiction-Büchern. Zuletzt habe ich "Der Astronaut" gelesen. Nachdem ich "Der Marsianer" verschlungen und gefeiert habe, fand ich "Der Astronaut" leider bei weitem nicht so gut. Insbesondere der Mittelteil wirkte sehr gestreckt und langatmig - schade. Nicht falsch verstehen: es ist in meinen Augen keinesfalls ein schlechtes Buch. Aber an "Der Marsianer" reicht es nicht heran.

Außerdem liegt auf meinem Nachttisch noch "Das Lied des Blutes" von Anthony Ryan. Es handelt von einem Jungen, der in ein Kloster des sogenannten Sechsten Ordens aufgenommen und dort zum Krieger ausgebildet wird. Wohin die Reise anschließend gehen wird, weiß ich noch nicht, da ich noch am Anfang des Buches bin. Es liest sich bisher locker weg und fühlt sich - zumindest im Hinblick auf die Ausbildung im Kloster - an, wie eine düstere Version von Harry Potter ohne Magie. Es folgen dann noch zwei weitere Bände.
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falko
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von falko »

J. Urban hat geschrieben: Mi 29. Dez 2021, 11:48 Zurück zum Thema "Was lest ihr gerade?"
Bei mir ist es "Offene See" von Benjamin Myers. Es geht um einen jungen Mann, der vor dem Start seines Berufslebens unter Tage im England der Nachkriegsjahre eine Wanderung durch das Land und an die Küste unternimmt. Dabei lernt er die Schönheit der Natur kennen und was es heißt, sein Leben zu genießen. Und, dass es mehr gibt, als bloße Pflichterfüllung. Das glaube ich zumindest - ich bin noch nicht sehr weit gekommen (S. 70). Das alles klingt ziemlich abgedroschen und wie eine moderne Version von Werther. Bislang liest sich das Buch jedoch sehr poetisch, stellenweise auch witzig, und es gefällt mir sehr gut. Insbesondere die Figuren und Landschaftsbeschreibungen sind sehr plastisch.
Das taucht gerade in vielen Jahresbestenlisten auf. Stand bei uns auch letztens in einer Abstimmung, aber wurde nicht gewähnt. Ist so ein Buch, bei dem ich fürchte, dass ich zu sehr in der richtigen Stimmung sein muss, um es nicht einfach nur langweilig zu finden.
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Ironic Maiden
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Ironic Maiden »

Ich habe mich die letzten Tage durch Der Himmel auf ihren Schultern von Sergej Lebedew geackert, weil ich es für meinen Lesekreis lesen musste.
Die Handlung kann man sehr kurz zusammenfassen: Der Ich-Erzähler reflektiert über seine Kindheit, die von seinem "zweiten Großvater", einem alten blinden Mann, geprägt wurde, um den er sich auf Anweisung der Eltern kümmern musste. Nach dem Tod des Mannes macht der mittlerweile erwachsene Protagonist sich auf die Reise nach Sibirien, wo der zweite Großvater Lagerkommandant in einer stalinistischen Sträflingskolonie war.

Ja, also wirklich gefallen hat mir das Buch nicht. Es wirkt auf mich so, als hätten Kafka und Lovecraft zusammen ein Buch über Russland geschrieben, ohne dass ein Lektor eingegriffen und ihre ausufernden Beschreibungen und Traumsequenzen gebändigt hätte. Das Buch ist keinesfalls schlecht. Es gibt viele bildgewaltige, sprachlich großartige Passagen und einige Stellen haben mir extrem gut gefallen und beschäftigen mich auch jetzt noch.
Aber es ist unglaublich mühsam. Jede neue Begegnung führt zu seitenlangen Assoziationen über auf den ersten Blick unwichtige (und für die Handlung auch unerhebliche) Details. Alles ist sehr verschachtelt und wenn ich den Roman wirklich tief hätte lesen wollen, hätte ich wahrscheinlich jeden Satz dreimal lesen müssen. So habe ich mich doch dabei ertappt, dass ich immer wieder Absätze überflogen habe und so bin ich dem Text wahrscheinlich nicht gerecht geworden.
Ich bin froh, den Text bis zum Ende gelesen zu haben, aber für mich war das eher wir Sport als wie Entspannung.
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Oliver Naujoks
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Oliver Naujoks »

Wieder mal Neues von Olis Buch- und Hörstapel. Heute etwas kürzer, „nur“ zu drei Sachen. Ich spreche über Ellery Queen, die Hardy Boys und die Hörspiel-Serie „Sieben Siegel“ von Kai Meyer.

Gestern Abend beendet habe ich „The Roman Hat Mystery“ von 1929, den ersten Band der langlebigen Krimi-Reihe um und von Ellery Queen. Der Name Queen ist das Sammel-Pseudonym von zwei Autoren und Cousins aus New York, sowie auch der Hauptfigur, ein Privatdetektiv, dessen Vater Polizist in New York ist. Der Roman findet sich in dem sehr dicken Sammelband „American Crime Fiction of the 1920s“ von (Mit-Sherlockian und dem Anwaltskollegen) Leslie S. Klinger und war der Auftaktroman für eine sehr langlebige Serie, die erst mit dem Tod der beiden Autoren Anfang der 1970er endete. Den Roman hatte ich vor zwei Jahren schon einmal begonnen, dann abgebrochen und nun vor kurzem noch einmal neu gestartet. Diesmal kam ich durch. Die Lektüre war sehr interessant, aber nicht sehr vergnüglich. Der Roman steht in der Tradition der „fairen“ Krimis aus der Goldenen Zeit der Krimis in den 1930ern, wobei mit „fair“ gemeint ist, dass sämtliche Fakten vor dem Leser ausgebreitet werden, nicht erzählerisch mit Cheats gearbeitet wird und der Leser somit aufgefordert wird (sogar explizit im Roman!), mitzuraten und mitzuermitteln. Was amüsierend-absurd ist, weil die Indiziendichte schwindelerregen dicht ist (was die Roman-Lektüre anstrengend macht) und die Auflösung rechtschaffen weit hergeholt. Das Buch hat sicher Millionen Leser insgesamt gehabt – vermutlich ist keiner auf die Lösung gekommen. Interessant und wenig vergnüglich ist der Roman, weil er eine Zeitlinse in das Jahr 1929 darstellt und einen Helden präsentiert, der heute vollkommen unvorstellbar wäre: Offensichtlich von den Erfolgskrimis um Philo Vance von S.S. van Dine inspiriert, ist auch Ellery Queen ein bewusst arrogant angelegter, eitler Fatzke und Snob, der, obwohl noch keine 30, einen Zwicker (das war in den 1920ern schon Jahrzehnte out) trägt und ständig mit Bildungsbürgerwissen wie griechischen Klassikern oder Shakespeare-Zitaten nur so um sich schmeißt – mit Erklärfußnoten. Nicht gerade ein Wallander-Typ. Wie früher üblich und exakt umgekehrt zu dem, wie man heute Krimis schreibt, findet praktisch keinerlei (wirklich keinerlei!) Psychologisierung der Figuren statt, diese sind reine Funktionsträger und der Roman konzentriert sich ausschließlich auf das kriminalistische Indizien-Puzzle. Dem zu folgen, übt schon einen gewissen Reiz aus, liest sich aber doch sehr trocken und anstrengend und wehe, man verliert mal ein paar Seiten den Faden! Die Zeitlinse ist schon hübsch und bietet einen Blick auf das New York der Zwanziger, in welchen man noch gesondert erwähnte, wenn ein Mann keinen Hut trug. Das ist heute ja etwas anders: In dem kleinen Kaff, in welchem ich wohne, trägt höchstens noch eine Handvoll Männer einen Hut (und ich bin einer davon, die Zahl ist also auch noch verzerrt).
Es gibt über 30 Ellery Queen-Romane, die Figur wurde wohl später ‚abgemildert‘ und es menschelte dann mehr in den Romanen, diese neuere Inkarnation fand dann auch Niederschlag in den Adaptionen: Es gab in den 1930ern/40ern neun Kinofilme, diverse Radiohörspiele und 1975 noch eine kurze TV-Serie, die in den 1940ern spielt. Neue Texte um Ellery Queen erscheinen seit Anfang der 1970er nur noch sporadisch, gerade vor einigen Jahren erschienen zwei Kurzgeschichtensammlungen mit aktuellen Texten. Im Moment wird übrigens ein TV-Reboot angedacht, in welchem man Ellery Queen weiblich machen möchte. So, das nur um es zu Ende zu erzählen, ich habe erstmal nicht vor, den Kosmos um Ellery Queen weiter zu durchdringen. Ganz meine Kragen- und Hutweite sind diese Art Krimis nicht. Nochmal: Interessant, aber nur bedingt vergnüglich.

--

Ich bleibe bei dem oben erwähnten Band von Leslie S. Klinger und lese jetzt „The Tower Treasure“, den ersten Band um die Hardy Boys, zwei jugendliche Ermittler und das amerikanische Äquivalent zu den Drei ??? und TKKG bei uns. Der Roman erschien 1927, die Texte wurden aber immer wieder überarbeitet, damit sie für junge Leser noch attraktiv bleiben und um hässliche Zeiterscheinungen (wie unterschwelligen, damals alltäglichen Rassismus) zu tilgen. Diesen Band hätte Leslie Klinger gerne aufgenommen in seinen Sammelband, konnte, wollte oder durfte das aber nicht. Was mich aber ja nicht daran hindert, mir den Band einfach so zu kaufen und zu lesen. Ich möchte jetzt einmal den allerersten Band der Hardy Boys lesen und den aktuellsten, der gerade letzte Woche (Anfang/Mitte Januar 2022) erschienen ist und das gleiche auch für ihre Kollegin Nancy Drew, eine weibliche Teenager-Ermittlerin, deren Romane seit 1930 ebenfalls bis heute erscheinen. Zusammen existieren mehr als 500 Hardy Boys und Nancy Drew-Romane und, nein, die werde ich nicht alle komplett lesen, nein, nein. Aber mal die jeweiligen TV Serien (1977-79, 1995, 2019-) mir jetzt ansehen, in welchen teilweise die Helden alleine, oder auch mal zusammen auftreten. Und vielleicht einige der Nancy Drew-Kinofilme, wovon es einige gibt, während es die Hardy Boys es noch nicht ins Kino geschafft haben. Nancy Drew erlebte in den letzten Jahren einen starken Popularitätsschub in den USA, weil es eine langlebige Computer-Adventure-Reihe um sie gibt – und auch, weil sie eine kleine feministische Ikone ist – selbst Hillary Clinton ist Fan.
Heute Morgen wurde ich stark bei der Lektüre des ersten Hardy Boys-Romans behindert, weil man nicht immer alle Körperfunktionen vollständig unter Kontrolle hat. Insbesondere, wenn man nie richtig erwachsen geworden ist. In einem Jugend-Roman von 1927 den Satz zu lesen: „The lanky old farmer leaned on his hoe“ sorgte bei mir für einen völlig unkontrollierten Lachflash, der einfach nicht aufhörte, und JA-HA, ich weiß, das Hoe auch(!) ein Gartengerät bezeichnet und hier natürlich gemeint ist und nicht die äh Ehefrau des Farmers und.. Jajaja. Ich muss schon wieder zu lachen anfangen, also schnell weiter im Text.
Quellen? Sehr viele der Bücher gibt es als Ebook, man muss keine gebrauchten Schinken von 1927 kaufen. Die TV-Serie von 1977 findet sich vollständig(!) auf Youtube. Die Nancy Drew-Serie von 1995 findet sich auch auf YouTube, die Hardy Boys Serie von 1995 findet sich auf dem Amazon Channel Fix und Foxi (nur auf Deutsch). Die Nancy Drew-Serie von 2019 findet sich auf Joyn+. Die Hardy Boys Serie von 2020 soll dieses Jahr bei uns bei Disney+ laufen.

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Nun zum Hörspiel. Dann habe ich mir alle drei Staffeln von Kai Meyers „Sieben Siegel“ angehört, basierend ursprünglich auf seiner Jugendroman-Buchserie. Es geht, ganz grob, um Hexenerscheinungen in einem kleinen deutschen Ort. Die Helden sind Jugendliche. Die erste Serie erschien schon vor 20 Jahren mit fünf Folgen und ist im Moment nur gebraucht auf CD erhältlich. Hierbei handelt es sich um eine Jugend-Hörspielserie mit kriminalistischen und vor allem auch wirklich gruseligen Einsprengseln, die Empfehlung „ab 10 Jahren“ sollte man ernst nehmen, wenn man das Kinder hören lässt. Die beiden aktuellen Staffeln bei Audible (2020/2021) sind KEINE Neuvertonung der alten Serie, sondern eher ein Quasi-Reboot, in welchem nur der Schauplatz und viele der Figuren(konstellationen) übernommen und ansonsten völlig neue Geschichten erzählt werden. Während die alte Serie noch dem Schema „Fall/Monster der Woche“ folgt, sind die beiden Staffeln bei Audible eine durchgehende Erzählung (jeweils aufgeteilt in acht Episoden) und richten sich an ein deutlich älteres Publikum, die Audible-Serie würde ich lieber gar nicht Kindern vorspielen, wirklich nicht, da wird der Grusel- und Horror-Faktor deutlich angezogen nochmal. Ferner sind die Geschichten merklich komplexer und (das galt auch schon für die alte Serie) einige Horror-Anspielungen und Reminiszenzen richten sich natürlich an ein entsprechend kundiges Publikum. Alle drei Staffeln haben mir sehr gefallen, weil sie drei wichtige Dinge richtig machen: Die Figuren sind lebendig, die Geschichten dicht und fesselnd und die gruseligen Szenen sind tatsächlich unheimlich. Das reicht für ein gelungenes Hörspiel völlig. Insbesondere die Audible-Staffeln sind aufwändig und inspiriert inszeniert, und zu meckern habe ich wirklich wenig, eigentlich nur, dass für meinen Geschmack sich manchmal zu sehr hörspielungemäß auf einen Erzähler verlassen wird um die überbordende visuelle Fantasie des Autors zu vertonen, insbesondere in Action-Szenen. Davon abgesehen möchte ich alle drei Staffeln aber sehr empfehlen, weil hier Spannung und Grusel nicht nur versprochen, sondern auch geliefert wird. Ich hatte sehr viel Freude damit und werde mittelfristig noch einige Meyer-Hörspiellücken jetzt schließen bei mir. Dazu gehört jetzt demnächst erstmal die zweite Staffel von „Imperator“, ein Krimi-Epos des Autors, welches (was für eine schöne Idee!) im Rom der 1960er spielt.
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Ironic Maiden
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Ironic Maiden »

Wenn ich ein Buch innerhalb von 24 Stunden durchlese, ist es nicht notwendigerweise gut, aber auf alle Fälle extrem spannend und unterhaltsam.
People Like Her von Ellery Lloyd ist zumindest letzteres. (Die deutsche Übersetzung hat übrigens den unsäglich dummen Titel "Like / Hate". Schon klar, dass man das clevere Wortspiel des Originaltitels nicht übersetzen kann, aber irgendwas Besseres wäre da schon möglich gewesen. :roll: )

In "People Like Her" geht es um eine sogenannte "Instamum", also eine Influencerin, die über ihr Dasein als Mutter auf Instagram schreibt und damit nicht nur tausenden von überforderten, einsamen Müttern Trost und Verständnis signalisiert, sondern auch massig Geld durch Werbeverträge verdient. Schon auf den ersten Seiten wird sehr deutlich, dass die Bilder und Texte natürlich wenig mit der Realität zu tun haben. Allerdings nicht deswegen, weil das Leben dort als besonders perfekt, sondern als besonders alltäglich geschildert wird. Emmy, die Hauptperson des Romans, ist bei ihren Followern so beliebt, weil sich sich als ganz normale, unperfekte Person gibt. So wird vor jedem Foto sorgfältig darauf geachtet, dass das Haus nicht zu ordentlich aussieht, obwohl die Putzfrau (die im Internet natürlich nie erwähnt wird) mehrmals wöchentlich aufräumt. Kleidung muss strategisch mit Babybrei beschmiert werden, die Frisur muss immer ein bisschen verwuschelt sein, usw.

Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive von Emmy und von ihrem Mann Dan erzählt. Dabei wird schnell klar, dass Emmy eine der unsympathischsten Figuren ist, die ich seit langem in einem Buch getroffen habe. Ihr gesamtes Dasein ist darauf ausgerichtet, ihren Followern zu zeigen was diese sehen wollen, doch nichts, über das sie schreibt, liegt ihr wirklich am Herzen. Es wird sogar mehrfach angedeutet, dass sie ihre Kinder in erster Linie bekommen hat, um als Instamum erfolgreich zu werden, da in dieser Nische noch Platz war. Gleichzeitig wird durch den Text aber auch immer wieder gezeigt, wie schizophren und heuchlerisch die Anforderungen sind, die an Mütter gestellt werden. Zudem zeigt der Roman, wieviel Arbeit und Disziplin in der Verkörperung einer Influencer-Persona stecken, und wie hart Emmy arbeiten muss, um die falsche Identität, auf die sie finanziell angewiesen ist, aufrechtzuerhalten. Hier hat der Text für mich auch die größten Stärken.

Die eigentliche Handlung wird durch eingestreute Passagen aus der Perspektive einer Stalkerin vorangetrieben, die offensichtlich einen Plan ausarbeitet, um Emmy und ihrer Familie etwas anzutun. Darin erfährt man nach und nach, wie dieser Plan aussieht und was die Motivation dahinter ist. Besonders originell ist das nicht, aber spannend, auch wenn all dies erst im letzten Viertel des Textes wirklich relevant wird.

Insgesamt hat mir der Roman sehr gut gefallen. Der Thrillerplot ist zwar ziemlich vorhersagbar, aber handwerklich gut gemacht und unterhaltsam. Zudem habe ich Einblicke in eine Welt, deren Existenz mir als kinderlose Person vorher eher unbekannt war, bekommen. Und ich fand ich das Ende, das dem ganzen nochmal eine besonders zynische Komponente hinzufügt, sehr gelungen. Wenn man also ein schnell zu lesendes, fesselndes Buch ohne großen Anspruch sucht, ist "People Like Her" eine gute Wahl.
Shenmi
Beiträge: 187
Registriert: Sa 23. Mär 2019, 11:06

Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Shenmi »

Ich bin im letzten Jahr diversen Buchreihen der Sahra J. Maas verfallen, es startete mit dem "Reich der sieben Höfe".
Dabei handelt es sich im Grunde um märchenhafte Young Adult Fantasy, die ich in eine für mich neue Rubrik eingeordnet habe: "Wunderbarer Mädchen Kitsch".
Aktuell lese ich gerade die "Throne of Glass" Reihe, die genau nach demselben Muster abläuft, nur viel vorhersehbarer und weniger glatt geschliffen. Das waren wohl ihre Anfänge, als sie noch auf der Suche nach ihrer Formel war. Kurzweilig ist es allemal und es liest sich von ganz alleine.
Mir fehlt nur noch der letzte Band und dann gibt`s noch ein paar Novellen, die quasi das Prequel darstellen. Und im Sommer kommt dann schon wieder "Crescent City 2" heraus, was wieder dieselbe Geschichte ist, nur mit anderen Fabelwesen. Ich freue mich schon drauf. :D

Da ich inzwischen aber eine Pause brauche, von perfekter Liebe, wunderschönen Menschen, dem reinen Guten und Bösen, habe ich nun erstmal ein wenig SciFi eingeschoben: Cixin Liu`s "Supernova" auf das ich sehr gespannt bin. Die Kritiken waren gar nicht schlecht, obwohl es bei den LeserInnen weniger anzukommen scheint. Ich bin wirklich gespannt drauf.
Ich bin eitel, hochmütig, tyrannisch, blasphemisch, stolz, undankbar, herablassend-bewahre aber das Aussehen einer Rose" - Pita Amor
Ironic Maiden
Beiträge: 153
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Ironic Maiden »

Ich lese gerade Something More Than Night von Kim Newman, einem meiner Lieblingsautoren. Newman ist in erster Linie (Horror-) Filmkritiker, schreibt aber auch Romane und Novellen, von denen man die meisten mMn als Pastiche kategorisieren könnte. Das bekannteste Buch von ihm dürfte "Anno Dracula" / "Die Vampire" sein, das in einer Welt spielt, in der Van Helsing und seine Mitstreiter gescheitert sind und Dracula Queen Victoria geheiratet und ein Vampir-Regime etabliert hat. Ich liebe Newmans Bücher heiß und innig, auch wenn die Qualität oft schwankt und ich seine Novellen meist besser als die Romane finde.

In "Something More Than Night" geht es um Boris Karloff und Raymond Chandler, die gemeinsam im Los Angeles der frühen 40er Jahre einen Kriminalfall mit übernatürlicher Komponente lösen. Wie bei Newman üblich wimmelt es nur so von Gastauftritten realer und fiktionaler Figuren, intertextuellen Referenzen und typischen Genre-Tropes. Ich schätze, dass ich diesmal - im Gegensatz zu den "Anno Dracula"-Romanen - nur einen Bruchteil davon erkenne, da ich im Hard Boiled-Genre nicht so bewandert bin, aber es ist trotzdem ein großer Spaß. Nebenbei höre ich noch die Miniserie über Karloff und Bela Lugosi vom "You Must Remember This"-Podcast, was einige Hintergründe etwas klarer macht.
Falls ich jemals Königin von England werde, wird Kim Newman mein Hofdichter.
Dennis
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Registriert: Fr 7. Mai 2021, 10:37

Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Dennis »

"Störfall" von Christa Wolf. Ich bin schwer beeindruckt.
Es ist ein wichtiges Buch, vor allem deshalb, weil aktuell wieder viel darüber nachgedacht und gesprochen wird, vermehrt auf Kernkraft zu setzen.
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