Was lest ihr gerade?

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Shenmi
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Shenmi »

Ich lese derzeit die ersten beiden Teile von Murakami`s IQ84.
Dabei kann ich nicht einmal richtig greifen was mich von der ersten Seite an so bezaubert hat.
Bisher suche ich wohl die eigentliche Geschichte, hinter den Erlebnissen der beiden Protagonisten und erfreue mich am Stil des Autors, der mir sehr gut gefällt.
Auch die Figuren haben es mir angetan, wenn ich ihnen bei ihrem Alltag zuschaue und ihre Dialoge verfolge.
Es sind wundersame Geschöpfe, die mir ein wenig schrullig erscheinen und auf liebenswerte Weise naiv, was sie sehr liebenswürdig macht.
Im Prinzip geht es mir beim Lesen ganz ähnlich, wie Tengo und Aomame.
Ich werde in eine Erzählung hineingezogen, deren Intention ich noch nicht hundertprozentig verstehe, der ich aber gleichzeitig eine Hintergründigkeit anmerke die mich fesselt.
Und so lasse ich mich von Zeile zu Zeile treiben, lächele immer wieder über die Formulierungen, die Erzählweise des Autors und fühle mich irgendwie entspannt.
Bemerkenswert ist allerdings das ich dabei sehr langsam vorankomme.
Normalerweise verschlinge ich ein Buch, wenn ich es mag.
Dieses hier konsumiere ich langsam, denn ich möchte es genießen und mir nichts entgehen lassen.
Während in meinem Hinterkopf immer wieder die Frage geistert, was mich daran eigentlich so fasziniert.
Meine erste Erfahrung dieser Art.
Ich bin eitel, hochmütig, tyrannisch, blasphemisch, stolz, undankbar, herablassend-bewahre aber das Aussehen einer Rose" - Pita Amor
Ironic Maiden
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Ironic Maiden »

Ich lese gerade Daisy Jones & The Six von Taylor Jenkins Reid. Dabei handelt es sich um einen Roman über eine fiktive Band, die ihre größten Hits in den 70er und 80er Jahren hatte. Dabei gibt es deutliche Parallelen zu Fleetwood Mac, aber soweit ich das bisher absehen kann, ist es eine Art Potpourri aller bekannten Klischees über Bands und Rock'n Roll. Im Endeffekt "Behind the Music" (oder auch ein bischen "Spinal Tap") als Roman.

Das klingt jetzt vermutlich nicht so attraktiv, aber was den Roman mMn interessant macht ist, dass er tatsächlich auch wie ein Dokumentarfilm geschrieben ist. Der gesamte Text besteht aus Interviews mit und Zitaten von Mitgliedern und Freunden der Band, und daraus ergeben sich natürlich Wiedersprüche in den Aussagen. Es ist genau wie das Buch auf dem Cover behauptet "Everyone was there. Everyone remembers it differently." Ich hatte anfangs Bedenken, dass das Ganze dadurch recht mühsam und sperrig zu lesen sein könnte, aber der Text ist wirklich leicht und flüssig zu lesen und macht Spaß. Ich mag es, wenn die Handlung in Romanen aus mehreren Perspektiven erzählt wird und die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt, und hier ist das durchaus gelungen umgesetzt. Zwar bedient der Plot soweit alle Klischees über Aufstieg und Fall von Musikern, aber ich bin noch im ersten Drittel des Textes und vielleicht gibt es ja noch Überraschungen. Und selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, unterhält mich das Buch gut genug, um über den Mangel an Originalität hinwegsehen zu können.

Ergänzung nachdem ich es fertig gelesen habe: Nein, das Buch wird nicht besser und ich muss im Nachhinein sagen, dass ich es nicht empfehlen würde. Der Plot bleibt unoriginell und harmlos, und mit dem Konzept der Interviews wird nichts Interessantes gemacht. Am schlimmsten finde ich aber, dass ständig darüber schwadroniert wird, wie großartig und tiefsinnig die Texte der Band doch seien. Sie sind im Anhang abgedruckt und ich muss sagen: Nein, sie sind nicht großartig. Sie sind dümmlich, albern und auf dem sprachlichen und inhaltlichen Niveau dessen, was ein deprimierter 14jähriger schreiben würde. Angesichts dessen, dass sich die Autorin hier im Grunde selbst andauernd lobt, einfach nur peinlich.

Und wem wie mir das Wetter viel zu warm ist, dem möchte ich noch The Hunger - Die letzte Reise empfehlen. Das ist ein Roman, der von der Donner-Reed-Expedition handelt, einem Track von Pionieren, der 1847 für vier Monate in der Sierra Nevada eingeschneit war. Dabei überlebte fast die Hälfte der Siedler nicht und es gibt Spekulationen über Kannibalismus und Morde während dieser Zeit. Der Roman verändert die historischen Umstände ziemlich stark, aber er ist spannend und interessant erzählt und lässt sich gut bei diesen Temperaturen lesen. Wem "The Terror" von Dan Simmons zu lang und zu sperrig war, kann sich getrost dieses Buch stattdessen vornehmen.
Shenmi
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Shenmi »

Endlich war mal "Kleine Stadt der großen Träume" im Angebot, denn trotz der Lobeshymnen im Podcast und externer Empfehlungen, konnte ich mich unter dem Titel nichts rechtes vorstellen. Deshalb war ich immer zu geizig, mir das EBook für 16 Euro zu kaufen.
Derzeit ist es aber im Angebot und kostet z.B. bei Amazon oder Thalia nur 4.99 Euro. Damit fange ich als nächstes an.

Derzeit lese ich gerade "Mitten im kalten Winter" von Arvid Heubner, welches mir ganz gut gefällt.
Ein Krimi rund um den Mord an 6 Schülerinnen eines Eliteinternates, dessen ein Lehrer verdächtigt wird, der danach Sebstmord beging.
Die Sache scheint klar, doch nach und nach stellt sich heraus das der Fall eine politische Dimension zu haben scheint.
Erfrischend fand ich das dieses Buch in Sachsen Anhalt spielt und auch einmal die lokalpolitische Ebene beleuchtet. Es muss nicht immer die ganz große Weltverschwörung sein. Auch Überwachung ist ein Thema und das hat ja derzeit ebenfalls Relevanz.
Ein netter kleiner Thriller wie ich finde, auch wenn es mir anfangs ein wenig viel gewesen ist, was (kurze) Rückblenden betrifft.
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Frostkaktus
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Frostkaktus »

Shenmi hat geschrieben: Fr 19. Jul 2019, 13:14 Ich lese derzeit die ersten beiden Teile von Murakami`s IQ84.
Dabei kann ich nicht einmal richtig greifen was mich von der ersten Seite an so bezaubert hat...
Ich habe das Buch zwar "nur" als Hörbuch gehört, aber da fand ich es wirklich ganz groß. Von daher würde ich mich da sehr über eine Besprechung freuen. Das Buch war mein Einstieg in die Murakami-Welt und seitdem habe ich bereits einiges von ihm verschlungen und bin wirklich fasziniert von seinem bisherigen Werk.

Ich selbst bin derzeit am dritten Teil von Cixin Lius Trisolaris-Trilogie "Jenseits der Zeit". Der Anfang war etwas zäh, so langsam groove ich mich rein. :)
Und das Chaos sprach zu mir: "Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen."
Ich lächelte und war froh. Und es kam schlimmer.
Shenmi
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Shenmi »

@Frostkaktus: Ich habe mir auch gleich noch andere Werke von Murakami gekauft. Allerdings habe ich auch gemerkt das ich dafür in der richtigen Stimmung sein muss. Das ist nichts was man einfach so wegliest. Deshalb habe ich nun auch eine Pause eingelegt bevor ich den dritten Band lese.

Derzeit lese ich gerade McCarthys "Die Straße" nochmal und bin auch bei der zweiten Sichtung sehr beeindruckt.
Der Autor braucht nur wenige Worte um eine bedrückende Stimmung aufzubauen, dass gefällt mir.
Danach steht noch "Ein Mann namens Ove" an und dann will ich auch endlich mal David Mitchells "Wolkenatlas" lesen.
Ich habe schon zweimal angefangen, aber jedes Mal kam irgendwas dazwischen. Das möchte ich aber noch nachholen, da mir der Film so gut gefällt.
Und bald steht ja auch Margaret Atwoods "The Testaments" an, die Fortsetzung von The handmaids tale. Selten war ich so gespannt auf ein Buch.
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Ironic Maiden
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Ironic Maiden »

Ich bin gerade in der unerfreulichen Situation fremdbestimmt lesen zu müssen, um mich auf das neue Schuljahr vorzubereiten. Diese Woche waren also fällig:
Arthur Schnitzler: Traumnovelle mag ich, da es ein schöner, knapper Text ist, der Themen wie Treue, verdrängte Wünsche und die Frage, wie wir mit unseren Sehnsüchten umgehen, behandelt. Zudem finde ich die traumartige Atmosphäre des nächtlichen Wiens wunderbar.

Sindiwe Magona: Mother to Mother ist in Hessen leider Pflichtlektüre. An sich ganz nett, es geht um Südafrika und Apartheid, aber eher sowas, was man mMn einmal liest, ganz nett findet und nicht mehr darüber nachdenkt. Sich mit einem Haufen unmotivierter Schüler*innen damit wochenlang beschäftigen zu müssen ist aber nur nervig.

Außerdem lese ich noch ein bischen YA quer, und habe daher mal Looking for Alaska von John Greenangefangen. Und nach zwei Dritteln abgebrochen. Sowas von langweilige Figuren, die sich selbst wichtig finden aber die ganze Zeit nie irgendetwas Interessantes machen. Das Internet hat mir zwar versichert, dass der von mir abgrundtief gehasste "Manic Pixie Dream Girl"-Trope dann am Ende aufgebrochen wird, aber für diese maue Aussicht quäle ich mich da nicht weiter durch und bleibe dann doch lieber bei The Perks of Being a Wallflower / Vielleicht lieber morgen von Stephen Chbosky. Das ist thematisch ganz ähnlich gelagert, hat aber wesentlich tiefgründigere Figuren, die sogar sowas wie spannende Hobbys und originelle Ansichten haben und damit tatsächlich so interessant sind, wie der Text behauptet.
Jochen
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Jochen »

Ironic Maiden hat geschrieben: Mi 14. Aug 2019, 17:29Sindiwe Magona: Mother to Mother ist in Hessen leider Pflichtlektüre. An sich ganz nett, es geht um Südafrika und Apartheid, aber eher sowas, was man mMn einmal liest, ganz nett findet und nicht mehr darüber nachdenkt. Sich mit einem Haufen unmotivierter Schüler*innen damit wochenlang beschäftigen zu müssen ist aber nur nervig.
Haha! Meine Nichte war letztes Wochenende bei mir und hat betrübt erzählt, dass sie dieses Buch noch für den Schulanfang lesen muss. Ich habe kurz gegoogelt und gedacht: Ah, der Wunsch, Kinder und Jugendlichen zu Bücherverbrennern zu erziehen, ist immer noch stark in bundesdeutschen Kultusministerien :mrgreen:
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derFuchsi
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von derFuchsi »

Meine Frau erzählte mir dass sie damals in der Schule Kafkas "Die Verwandlung" lesen und natürlich Interpretation dazu schreiben musste.
Seitdem ist Kafka für sie ein rotes Tuch :D.
Lesen an sich geht aber noch ;)

Ich schätze mal Kafka gehört zum literarischen Grundwissen also hatte ich als Kulturbanause das Ding im Zuge der Unterhaltung dann erst mal direkt nachgeholt.
Für mich war das bloß eine sehr seltsame Horrorgeschichte eines Typen der sich in ein Insekt verwandelt.
Dann habe ich mich erst mal über mögliche Interpretationen aufklären lassen. Dann verstand ich :lol:
Jochen
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Jochen »

Ich mag Kafka sehr gerne. Aber auch den würde ich nicht auf ahnungslose Kinder und Jugendliche loslassen. Das Problem ist nicht die Literatur an sich, sondern der Umstand, dass sie übergeordnete Themen behandelt, die in diesem Alter für die meisten Jugendlichen schlicht (noch) keine Rolle spielen - und dabei auch noch mühsam zu lesen ist.

Ich bin echt immer wieder froh, dass ich keine Kinder habe. Ich fürchte, ich würde ihnen die Lektüre von so einem Krempel kurzerhand verbieten und regelmäßig Entschuldigungen schreiben, dass mir eine 6 lieber sei als ein Kind, dem man die Lust aufs Lesen mit deutscher Gründlichkeit aus dem Leib unterrichtet hat :mrgreen:
Ironic Maiden
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Re: Was lest ihr gerade?

Beitrag von Ironic Maiden »

derFuchsi hat geschrieben: Do 15. Aug 2019, 09:28 Meine Frau erzählte mir dass sie damals in der Schule Kafkas "Die Verwandlung" lesen und natürlich Interpretation dazu schreiben musste.
Seitdem ist Kafka für sie ein rotes Tuch :D.
Lesen an sich geht aber noch ;)

Ich schätze mal Kafka gehört zum literarischen Grundwissen also hatte ich als Kulturbanause das Ding im Zuge der Unterhaltung dann erst mal direkt nachgeholt.
"Die Verwandlung" ist in Hessen momentan auch mal wieder Pflicht für den Deutsch Grundkurs. Ich bin kein Kafka-Fan, sehe aber doch die literaturwissenschaftliche Relevanz. Was mich aber nervt ist, dass dann in der Schule gleich die längeren Erzählungen gelesen werden müssen. Von Kafka bekommt man mMn auch durch die Parabeln einen ausreichenden Eindruck, da muss man keine Generationen mit "Verwandlung" oder "Prozess" quälen, wenn "Vor dem Gesetz" auf einer Seite die gleichen Themen abhandelt. Die Leute, die das dann toll finden, können die längeren Texte dann ja auch allein lesen.
Die Entscheidungen über Pflichtlektüren sind mir ohnehin ein Rätsel. Grade bei moderneren Romanen finde ich die Entscheidungsprozesse sehr wenig nachvollziehbar. Natürlich dürfte sich aber jeder Verlag die Finger danach lecken, einen Roman an dem man die Rechte hat als Pflichtlektüre unterzubringen. Was die großartige Relevanz von "In seiner frühen Kindheit ein Garten" war ist mir immer noch unklar, aber der Fischer-Verlag dürfte in den drei bis vier Jahren das xfache der üblichen Verkäufe von dieser Erzählung erreicht haben...
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