Damit Ihr mal seht, wie Eure Podcasts rezipiert werden: Diesen Podcast hatte ich erstmal übersprungen und hinten rüber fallen lassen, weil ich mich zwar gerne mal von Euch mitnehmen lasse und dadurch auch schon tolle Entdeckungen gemacht habe, an dem Buch zu dem Moment aber gar kein Interesse hatte.
Nun las ich heute Morgen, dass dieses Buch der Bestseller des Jahres(tm) 2021 sei und erinnerte mich: Moment mal, da gab es doch bei Kapitel Eins einen Podcast mal zu. Also Spaten geholt, Archiv umgegraben, diesen Podcast exhumiert und heute mal gehört.
Es gibt Podcasts, die ich aufgrund des Buches von Euch schon lieber gehört habe, aber von der Diskussion her dürfte das vielleicht Eure Sternstunde bisher gewesen sein. Auch und gerade weil Ihr bewusst oder unbewusst mit Euren verschiedenen Positionen brennglasartig gut die Debatte um dieses Buch allgemein in den Gazetten (was ich mitbekommen habe) abgebildet habt, vom euphorischen Zuspruch (wie bei Jochen) bis zur Ablehnung (wie bei Falko) aus gewissen Gründen. Ich muss also nicht jedes Tag den Perlentaucher lesen und 347zwölfzig Zeitungen abonnieren und daraus die Föhjetons extrahieren, ich kann auch einfach Kapitel Eins hören und gut ist.
Spannende Debatte. Am spannendsten daran war, wie ehrlich Falko mit seiner "Hilflosigkeit" umgeht, dass er einfach nicht aus seiner Haut ("Robert-Haut"?) kann. Und das, obwohl er es offensichtlich merkt und von Jochen auch mehrfach sehr deutlich gespiegelt bekommt und sich trotzdem nicht davon distanzieren kann, dass er diesmal das Buch nicht nach literarischen Kriterien beurteilen möchte, sondern eher nach moralischen und politischen Gesichtspunkten. Was eine vollkommen legitime Lesart ist, auch wenn es mir nicht gefällt, wenn man mit "das kann man doch eine (fiktive) Figur so nicht sagen lassen" argumentiert, denn dann gerät man ernsthaft in extreme und ganz furchtbare Schwierigkeiten, wenn z.B. in einer Space Opera ein ganzes Alien-Volk umgebracht wird - das, Massenmord, macht man nämlich auch nicht! Und vor allem sollte man die Qualitätsbeurteilung eines Romans nicht davon abhängig machen, dass da Figuren Dinge sagen, die einem persönlich nicht passen, das ist per se kein Qualitäts-Argument - finde ich, insbesondere, wenn diese Figuren möglicherweise ja NICHT das Sprachrohr der Autorin sind, sondern nur eine Diskussionsgrundlage bieten sollen. Falko versucht das zwar zu versachlichen und literarische Argumente ("plumpe Herangehensweise" "Klischees" etc.) dafür zu finden, ich unterstelle ihm aber, dass William Shakespeare persönlich das hätte schreiben können, Falko hätte es aufgrund der ihm nicht passenden Aspekte immer noch abgelehnt und das dann als "plump" und "klischeehaft" bezeichnet.
Entlarvend ist und witzig war, dass Falko an einer Stelle sagt, dass die Provokation bei ihm nicht ankomme - obwohl sie natürlich präzise das ganz genau tut (file under BULLSEYE!), was Jochen ihm dann auch süffisant als Lotion einreibt.
Ich bin Euch, Falko & Jochen, sehr dankbar für diese Debatte, das war hochgradig anregend zu hören, ein wirklicher Gewinn und Genuss für mich. Chapeau.
Möchte ich das Buch jetzt lesen? Nein. Das liegt aber an mir. Ich brauche literarisch erstmal etwas Corona-Distanz und im Moment einen Roman dermaßen am Puls der Zeit von Lockdowns & co. nicht. Danke, reicht. Dafür habe ich die letzten Jahre zu viel Nachrichten 'verfolgen müssen', auch wenn es mich schon neugierig macht, wie man es schafft, einen Liebesroman um einen Neonazi-Nachbar zu schreiben, ohne das völlig gegen die Wand zu fahren.
Ihr spekuliert ja am Ende darüber, wie gut oder schlecht der Roman dann altern wird. Vielleicht möchte ich das ja dann in zehn Jahren mal rausfinden.