Oliver Naujoks hat geschrieben: ↑Di 10. Aug 2021, 15:47
Ich würde da leicht widersprechen wollen. Ich gehe davon aus, dass Grisham auch deswegen seit 30 Jahren so erfolgreich ist, weil er einfach IMHO ein phantastischer Erzähler ist. Natürlich hat er eine besondere Stärke in seinem Justiz-Bereich, aber auch bei allem drumherum ist er hervorragend lesbar, finde ich.
Ich würde sagen, er ist ein "guter Erzähler" mit Begabung zum fantastischen Erzählen, wenn es in den Bereich Recht/Gericht usw. geht.
Das er "lesbar" ist, würde ich unterschreiben, ich habe das Buch an zwei langen Abenden runter gelesen. Trotzdem wirkte es auf mich zeitweise - und sehr überspitzt gesagt - als würde ich zwei Romane lesen. Wenn es um den Fall geht, die Kungeleien mit dem Richter, selbst die Auftritte seines Mentors Lucien, herrscht ein völlig anderer "Sound".
Dann hat das Buch einen fabelhaften Rhythmus, der mich um vier Uhr nachts in den "eine Seite noch" Modus versetzt. Aber sowie es auf die Nebenhandlungen kommt, ist er einfach nicht gut, dann flacht das Tempo sofort ab.
Ich habe ja ein Beispiel gebracht, wo ich den Stil einfach nur ungelenk finde, die Informationen schlicht überflüssig. Es gibt aber noch andere Stellen. Aus dem Stand würde mir dieser seltsame Besuch bei den Schwiegereltern einfallen, wo Grisham einiges anteasert, das eigentlich Interessante, dass dem Protagonisten Tiefe verleihen würde, aber einfach weglässt.
Jake siezt doch seinen Schwiegervater oder nennt ihn beim Nachnamen, ich habe es leider schon wieder vergessen. Hier hätte ich zum Beispiel gerne erfahren, warum das so ist oder wie es nun tatsächlich um seine Finanzen steht bzw. warum das überhaupt wichtig ist. Dieser ganze Ausflug dorthin, dient überhaupt keinem Zweck und bringt den Plot keinen Jota voran. Genau wie die ganze Schwangerschafts,- bzw. Adoptionsgeschichte, die auch vollkommen ins Leere läuft, wo sie den Fall nicht berührt.
Grisham macht zwar Andeutungen, widmet dem immer mal wieder kleine Abschnitte und...tja...damit passiert genau nichts. "Phantastische Erzähler" würden so etwas entweder weglassen oder mir plausibel vermitteln, welchen Gewinn es mir als LeserIn bringt.
Auf mich wirkten die Nebenstränge jedenfalls häufig wie Pflichtübungen, vielleicht weil Grisham glaubt, dass müsse enthalten sein.
Abgesehen von dem zweiten Fall, mit dem Bahnübergang, bei dem ich durchaus verstehe, warum er drin sein muss, fand ich den Rest mindestens fünfzig Seiten zu lang - wahrscheinlich sogar hundert.
Das tut dem Gesamtwerk keinen Abbruch, lässt mich aber vermuten, dass Grisham sich die letzten Jahrzehnte nicht unbedingt weiterentwickelt hat.
Sein sprachlicher Stil ist eingängig, aber wirklich nichts Besonderes mehr. Aber Erzählen kann er und der Erfolg gibt ihm auch recht.
"Ich nehme immer mal wieder gerne eine Grisham zur Hand, muss aber gestehen, dass ich auch viele Romane ausgelassen habe."
Die neueren sind nicht so gut.
Ich hatte ihn jetzt länger nicht gelesen, weil ich ein oder zweimal daneben gegriffen habe. Zuletzt mit einem Roman, wo es um einen Mord in einem Casino, auf dem Territorium der Indianer ging. Das hat mich eigentlich interessiert, weil ich wusste das die american natives dort ihre eigenen Strafverfolgungsbehörden (Sheriff etc.) haben. Leider gab es dort auch jede Menge loser Fäden und am Ende habe ich das Buch sogar abgebrochen.
"Der Polizist" habe ich eigentlich nur gekauft, weil es hieß, es sei wieder mehr vom alten Grisham.