Janna hier. Dann erkläre ich mal, was im Podcast diesbezüglich vielleicht nicht so deutlich rüberkam:
Flo hat geschrieben: ↑Sa 13. Mai 2023, 21:37
Ich tu mir immer ziemlich schwer damit, wenn davon die Rede ist, ein Buch könnte Schüler schocken (oder wie auch immer man es nennen mag). Wenn ich an mich in dem Alter denke, dann hätte ich das eher mit einem Schulterzucken - wenn überhaupt - kommentiert. Und heute sind die Schüler noch dazu teils schon jahrelang Social Media und das Internet generell gewöhnt, plus diverse Streaming-Dienste. So hart kann ein Buch doch gar nicht sein? Für mich klingt das immer nach Debatten, die einzig Pädagogen und naive Eltern führen.
Oder bin ich es da, der naiv denkt?
Das ist gar nicht naiv. Nur halt von der Warte der Einzelperson und der Einzelerfahrung aus gedacht. Ich muss bei der Planung nur mehr Aspekte berücksichtigen:
In jeder Klasse sind 27 bis 30 Schüler*innen mit teils völlig unterschiedlichen Medien- und Texterfahrungen. Natürlich gibt es da die, die aufgrund ihrer Erfahrungen oder ihrer Persönlichkeit weniger Probleme mit "härteren" Inhalten haben. Es gibt aber auch die, die sehr behütet aufgewachsen sind. Es gibt auch heute noch durchaus Schüler*innen, bei denen die Eltern den Medienkonsum restriktiv überwachen, oder die auch von sich aus kein Interesse an extremeren Inhalten als Schminktutorials haben. Und es gibt auch die, die einfach sensibler auf manches reagieren.
Und man muss mMn auch bedenken, dass die Schüler*innen nicht freiwillig in der Schule sind und den Text vorgeschrieben bekommen. Es ist was anderes, ob ich mich freiwillig für ein Uniseminar über Horrorliteratur einschreibe, oder ob ich gezwungen werde, einen Text zu lesen, der mir sehr unangenehm ist. Im Zweifel muss man da zwar durch, aber ich denke, dass ich das als Lehrerin schon im Hinterkopf haben sollte, bevor ich einen Text auswähle.
Dazu kommt, dass das, was Schüler*innen bisher an extremeren Inhalten gesehen haben, in der konkreten Ausprägung von Gewalt anders sein kann, als das mit dem die Lektüre sie konfrontiert. Ich schaue z.B. in der 10. Klasse oft "Das weiße Band" von Michael Haneke. Da sind immer etliche Schüler*innen irririert und provoziert. Und zwar nicht, weil es so explizite Darstellungen von Gewalt gibt, sondern weil die absolute Gnadenlosigkeit, mit der die Menschen dort miteinander umgehen, also die psychische Gewalt, für sie ungewohnt ist. Nur weil die Schüler*innen schon ihr Maß an Splatter, sei es real oder fiktional, gesehen haben, heißt das nicht, dass sie gegen alle Formen und Darstellungen von Gewalt "abgehärtet" wären.
Und dann kommt bei der Erwägung, ob eine Lektüre geeignet ist, noch dazu, inwiefern die Schüler*innen schon in der Lage sind, dass dargestellte zu reflektieren und darüber produktiv zu diskutieren. Und weil viele, gerade höhere Klassen, altersmäßig gemischt sein können, also in der gleichen Klasse Jugendliche zwischen 14 und 16 sitzen können, muss ich auch berücksichtigen, dass alle da zumindest die Möglichkeit haben, inhaltlich mitzukommen.
Ich bin ja gar nicht dagegen, dass Schüler*innen auch mal "schockiert" werden. Das gehört mMn zum Erwachsenwerden dazu, und ich finde es auch nicht schlimm, wenn ein Text mal länger hängen bleibt, weil er extremer war als das gewohnte. Man kann nicht ständig davon reden, Texte zu lesen, die für die Schüler*innen "relevant" wären, und dann nur so Friede, Freude, Eierkuchen-Kram nehmen. (Und ja, ich finde es falsch, "Krabat" nicht in der 7. Klasse zu lesen. Der Text ist gruselig, aber wer mit 12 noch Angst vor "Krabat" hat, muss sich vielleicht gerade mal mit diesem Text beschäftigen.)
Kurzum, ich hoffe, ich konnte die spezifischen Erwägungen ein bischen erläutern und etwas klären.
(Nur kurz zur Ergänzung, weil das ein pet peeve von mir ist: die meisten Lehrer*innen sind keine Pädagog*innen. Ich hatte im Studium genau zwei Veranstaltungen zu Pädagogik und im Referendariat fast nur Didaktik. Pädagogik ist ein eigenes Studium mit eigenen Schwerpunktsetzungen.)