Puh, das ist mal ein Buch, dass ich aufgrund von Cover und Titel niemals gelesen hätte. Eines der vielen Bücher, die ich in der Buchhandlung als blinden Fleck wahrnehme während ich zu den Fantasy/SF/Horror/Krimi Abteilungen latsche. Quasi die perfekte Umsetzung des Archetyps "Uninteressantes Buch". Der Klappentext bestärkt dieses Gefühl und bereichert es um ein weiteres Element, das mich nicht interessiert: Eishockey.
Was soll ich sagen - ich fand es nahezu brillant. Trotz - oder vielleicht auch wegen? - Eishockey.
Dazu möchte ich hier mal eine Frage in den Raum stellen: Wäre die Geschichte mit einer anderen Sportart genauso gut möglich gewesen? Es geht ja hier beim Eishockey hauptsächlich um homogene Gruppen männlicher Jugendlicher und die Dynamik die in ihnen entsteht. Mit allem was dazu gehört - Teamgeist, aber auch Ausgrenzung, Mannwerdungsrituale, Hierarchien, Loyalität (oder das, was dafür gehalten wird), Umgang mit Druck und Aufmerksamkeit... Deswegen dachte ich im ersten Moment, dass jede andere Sportart ebenso geeignet gewesen wäre, die Geschichte zu erzählen. Aber je mehr Abstand ich jetzt vom Buch habe, desto mehr ist meine These, dass doch besonders Eishockey eine ausgezeichnete Wahl ist. Irgendwie bereichert es diese ganzen Themen um eine zusätzliche Ebene, wenn die Sportart hart ist. Fußball würde in meinen Augen zum Beispiel nicht so gut funktionieren, eben weil es dort weniger hart zur Sache geht. Jochen erwähnt im Podcast ja American Football - da ist aber eine Mannschaft zu groß, als dass sich bei mir dieses Gefühl einstellen könnte, den Großteil der Mannschaft zu kennen und zu verstehen (Außerdem könnte die Geschichte dann natürlich nicht gut in Schweden spielen). Handball vielleicht noch am ehesten?
Schade, dass ihr kaum über Benji gesprochen habt - das war mein Lieblingscharakter. Ich möchte an dieser Stelle einen kurzen Abschnitt zitieren, der mir über Benji und über Kevins Eltern gleichermaßen alles sagt, was ich brauche um zu wissen, wieso ich den einen wahnsinnig sympathisch und die anderen vage stressig und unangenehm finde. Es geht hier um das Haus von Kevins Eltern und Kevins besten Freund Benji, der dort zu Besuch ist:
Ihr Haus ist weiß angestrichen und rechtwinklig wie aus einem Werbeprospekt für Wasserwaagen. Als es gerade keiner sieht, verschiebt Benji lautlos das Schuhregal um einen Zentimeter, berührt unauffällig zwei Fotos an den Wänden, so dass sie minimal schief hängen, und setzt seinen Fuß so auf den Teppich, dass er mit seinem großen Zeh rasch ein paar Fransen in Unordnung bringt. Als er die Terrassentür erreicht, erblickt er das Spiegelbild von Kevins Mutter im Fensterglas, die hinter ihm hergleitet und mechanisch alles wieder geraderichtet, ohne dabei auch nur ein Wort ihres Telefonats zu verpassen.
Weitere Zitate, dich ich mag (ohne großen Zusammenhang):
(Mira und ihre Kollegin haben einen gemeinsamen Kollegen in der Anwaltskanzlei, in der sie arbeiten, den sie aufgrund seines Äußeres "den Dachs" nennen:)
Ihre Kollegin hasst den Dachs zwar nicht als Menschen, aber als Konzept. Er ist Partner geworden, obwohl alle genau wissen, dass Mira an der Reihe gewesen wäre.
Bin da sehr drüber gestolpert - im positiven Sinne. Wie viel langweiliger und auch etwas weniger zutreffend wäre es, stünde dort "Ihre Kollegin hasst den Dachs aus Prinzip."
(In der dörflichen Autowerkstatt:)
Peter folgt ihm und stellt sich fröstelnd und mit einem Gefühl der Bedeutungslosigkeit neben ihn, wie es nur ein Mann empfinden kann, der einem anderen Mann aus derselben Generation dabei zuschaut, wie er das kaputte Auto seiner Ehefrau inspiziert.
Eine hübsch treffende Beschreibung dessen, wie ich mich fühle wenn ich verlegen Schnittchen schmiere während meine Partnerin zusammen mit meinen Freunden in meiner Wohnung Heimwerkertätigkeiten ausführt, weil ich das einfach nicht kann. Dabei ist diese Männlichkeitskomponente weniger wichtig als der Hinweis auf die Generation. Wenn mein Vater für mich heimwerkert (nicht, dass der das wirklich besser könnte als ich - Apfel und Stamm...) ist dieses Gefühl deutlich weniger ausgeprägt.
Es gäbe noch einige mehr, dabei möchte ich es aber belassen. Ein wirklich tolles Buch, und dabei habe ich über den Wendepunkt und die dadurch entstehende Dynamikänderung noch gar nicht gesprochen. Insgesamt ist mir ganz besonders aufgefallen, wie sehr mich das Buch begleitet. Ich denke ständig darüber nach - auch nachdem ich es durch gelesen habe.